Vorbereitet sein auf herausfordernde Situationen mit Kindern
Beim Aufbau der PSNV für Kinder ist Fortbildung ein zentraler Baustein.
Todesfälle in der Familie, Unfälle und Gewalt machen leider auch vor Kindern und Jugendlichen nicht Halt. Solche Ereignisse sind für die jungen Betroffenen oft hochbelastend. Ihre zeitnahe psychologische Versorgung ist daher angeraten. Beim Aufbau der Psychosozialen Notfallvorsorge (PSNV) für Kinder durch den DRK-Kreisverband Ravensburg ist Fortbildung ein zentraler Baustein: PSNV-Einsatzkräfte aus verschiedenen Organisationen bekamen Hintergründe, Methoden und Wissen von Prof. Dr. Harald Karutz, einer Koryphäe auf dem Fachgebiet, an die Hand.
Werkzeug für die gesamte PSNV
Diplom-Pädagoge, Notfallsanitäter und Notfallseelsorger Karutz griff bei der zweitägigen Fortbildung Belastungen und Strategien zur Selbsthilfe ebenso auf wie das kindliche Erleben von Notfällen, Krisen und Katastrophen. Themen waren Erste Hilfe und die psychosoziale Akuthilfe mit Schwerpunkt Kinder und Jugendliche sowie Einsätze bei Großschadenslagen wie einem Busunfall. Letzteres ist ein Unglück, das gar nicht so selten vorkommt. Rund 30 Helferinnen und Helfer des PSNV-Kooperationsverbundes im Landkreis Ravensburg, bestehend aus DRK, Maltesern, Johannitern und THW, Feuerwehr, Schulpsychologen und Kirchen nahmen teil.
Mit Gruppen sprechen
Ein Themenblock drehte sich um das Thema Gruppengespräch nach einem Unglück im schulischen Kontext, etwa ein Unfall wie dem besagten Busunfall. Die Meinungen von Experten gehen auseinander, ob ein Gruppengespräch grundsätzlich angebracht ist. Karutz spricht sich klar dafür aus: „Die Klasse ist ja da, man muss doch mit der Klasse reden.“ Das Gleiche gelte für Kindergartengruppen. Die Konzepte diverser Gesprächsmethoden seien sich ähnlich und würden sich eher in den Details unterscheiden. Anstelle von Gesprächen gibt es auch das Konzept der „Schreibwerkstatt“. Hier werden noch einmal andere neurophysiologische Prozesse angesprochen. Vor allem bei Mädchen kann Karutz sich dies gut vorstellen. Bei der Nachsorge von Kindergartenkindern greifen statt Gesprächen oft methodische Ansätze wie Malen, Singen oder Bewegung.
Im Vorfeld Fragen zur Gruppe klären
Entscheide man sich für ein Gruppengespräch, müssten bei der Vorbereitung zehn Fragen vorab geklärt werden. Sie drehen sich etwa um den richtigen Zeitpunkt. Die Jugendlichen sollten dafür etwas zur Ruhe gekommen sein. Er empfiehlt ein Gespräch frühestens 24 Stunden nach einem Ereignis anzusetzen. Wichtig seien unter anderem Infos zur Gruppe, wie ihre Zusammensetzung, ob es Spannungen oder Konflikte gibt, ob die Gruppe homogen oder extrem unterschiedlich ist. Hilfreich ist es zu wissen, ob es in einer Gruppe besondere Rituale gibt, bei einer Sportgruppe zum Beispiel eine Parole. Mindestens zwei Personen sollten beim Gespräch vor Ort sein – eine Bezugsperson etwa aus der Lehrerschaft und eine PSNV-Einsatzkraft. Manchmal ist eine dritte Person als Beobachter angezeigt.
Man muss sich ein Gespräch selbst zutrauen
Nicht zu unterschätzen ist die Frage, wer sich das Gespräch grundsätzlich zutraut. „Es ist eine Herausforderung – auch emotional“, meinte Karutz eindringlich. Jeder müsse für sich entscheiden: Kann ich das? Womöglich ist eine andere Person in dem speziellen Fall besser geeignet. Für die Kinder und Jugendlichen gilt unbedingte Freiwilligkeit. Die Nichteilnehmenden benötigten dann aber ein anderes Angebot. Zu klären gilt, ob Eltern anwesend sein sollen und ob Gespräche in vertrauter oder neutraler Umgebung stattfinden.
Schwerpunkt: Beginn und Abschluss
Spätestens bei der Überlegung, wie man das Gruppengespräch beginnt, dämmert es, um welch herausfordernde Situationen es sich dreht. „Die ersten Sätze sind die wichtigsten", so Karutz. Ein saloppes „Hallo“ ist vermutlich genauso wenig angebracht wie ein steifes „Guten Tag“. Man müsse authentisch sein. Die einführenden Worte, die sich am Alter der Gruppe orientieren, solle man im Vorfeld notieren und formulieren. Seine Empfehlung: „Übt die Sätze vor dem Spiegel.“ Das Gespräch sollte eher auf der Sachebene bleiben, weil sich überbordende Emotionen in einer größeren Gruppe unter Umständen nicht mehr einfangen lassen. Wichtig ist auch der Abschluss, bei dem es zu klären gilt, wie es weitergeht, der womöglich ein Ritual beinhaltet oder auch ein Bewegungsangebot. Wichtig sind parallel dazu auch Infos für die Eltern.
Abwägung statt Schema F
Karutz machte immer wieder deutlich, dass es kein Vorgehen nach Schema F gebe, dass es ein Abwägen von Fall zu Fall bleibe. Er gab methodische Anregungen an einem konkreten, sehr berührenden Beispiel. Die intensiven Gedanken im Vorfeld und das Durchsehen von entsprechend geeignetem Material seien aufwendig. „Es bedarf mindestens einen Tag Vorbereitung“, so der Experte. Zeit, die sich mehr als lohnt.