Wenn Kopftuch auf Minirock trifft
Freude über die gute Resonanz: Trotz der Corona-Maßnahmen ließen es sich rund 20 Frauen – einige mit kleinen Kindern – aus verschiedenen Kulturkreisen nicht nehmen, sich den Vortrag „Frauen in Deutschland“ in der Zehntscheuer anzuhören und sich im Anschluss auszutauschen. Referentin Gülcin Baydaktar vom Verein TAVIR zeigte die teils starken kulturellen Unterschiede von muslimisch geprägten Zugewanderten und Deutschen auf. Diese Unterschiede nicht nur zu verstehen, sondern auch zu respektieren, ist wichtige Basis für ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben. Eingeladen zur Veranstaltung haben die Kooperationspartner DRK-Kreisverband Ravensburg und die Diakonie Oberschwaben Allgäu Bodensee.
Zugewanderte Menschen: von liberal bis konservativ
Deutschland verändert das Eheleben von Zugewanderten mehr, als sie dachten: So lautet die Erfahrung aus einem einführenden Filmbeitrag. „Die Männer haben Angst, dass ihre Frauen sich verändern, lieber Minirock statt Kopftuch tragen möchten“, fasste Gülcin Baydaktar zusammen, die in Deutschland aufgewachsen ist und türkische Wurzeln hat. Ein pauschales Urteil sollte dies aber nicht sein. „Es gibt zum Beispiel Syrer von liberal bis konservativ,“ weiß sie aus ihrer Bildungsarbeit.
Weltweite Stellung der Frau
In ihrem Vortrag rückte sie vor allem die Stellung der Frau in den Mittelpunkt. Diese wird weltweit durch tradierte Kultur- und Denkmuster geprägt. Ein ukrainisches Sprichwort etwa lautet: „Ein Mann, der seine Frau schlägt, liebt sie.“ Ein anderes, tunesisches sagt: „Gehorsam einer Frau gegenüber ist der Weg zur Hölle.“ Traurige Beweise, wie es um die Rechte von Frauen steht, gibt es ebenfalls genug: Alle zwei Sekunden wird weltweit ein Mädchen unter 18 Jahren zwangsverheiratet, alle 15 Sekunden eine Frau geschlagen. Alle sechs Minuten gibt es in den USA eine Vergewaltigung. Auch Deutschland ist bei dieser traurigen Bilanz nicht ausgeschlossen: Hier wird fast jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres Partners getötet. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Stellung der muslimischen Frau
Die Stellung der Frauen in der muslimischen und deutschen Familie ist in der Regel sehr unterschiedlich. „Eine muslimische Frau ist sehr selbstlos“, so die Referentin. Sie hat dem Mann zu dienen, ihr Leben ganz der Familie unterzuordnen. Ihr kostbarstes Gut ist ihre Ehre. Schon Mädchen lernen diese Rolle. Sie lernen früh den Haushalt. „Hamarat“ ist das Lob und die Anerkennung für die geleistete Arbeit. Es bedeutet: tüchtig und macht die Mädchen stolz. Verliert eine junge Frau ihre Jungfräulichkeit, heißt das das Ende der Familie, und im schlimmsten Fall Ehrenmord, der die Ehre des Vaters bereinigen soll.
Respekt für die anderen
Hier angekommen, empfinden Migranten es oft befremdlich, dass Frauen in die Augen der Gesprächspartner schauen, wie sie sich kleiden, Tattoos haben oder lackierte Nägel. Sie müssen lernen, dass diese Frauen nicht schlechter sind, genauso viel Stolz und Ehre besitzen und Respekt verdienen, wie Frauen im Herkunftsland. „Eine Frau ist hier kein Eigentum des Mannes. Sie kann frei entscheiden“, so Baydaktar. Was für die meisten Deutschen selbstverständlich klingt, müssen Migranten von Grund auf lernen, etwa was in Deutschland verboten und damit auch eine Straftat ist: unter anderem Mädchen zwangs zu verheiraten oder Sex mit Minderjährigen.
Frauen haben Potenzial für Veränderung
Gülcin Baydaktar wies darauf hin: „Wir Frauen erziehen unsere Kinder, wir haben es in der Hand, wir können es steuern.“ Die Aufklärungsarbeit auch außerhalb der Familie müsse früh beginnen, um das Verständnis füreinander zu schärfen. „Frauen haben großes Potenzial und so viel Energie. Und wir haben so viele Möglichkeiten hier in Deutschland. Das ist ein Geschenk. Das müssen wir nutzen“, so der hoffnungsvolle Appell für ein gelingendes Miteinander der Kulturen in der eigenen Nachbarschaft.
Informationen:
Ermöglicht haben die Veranstaltung im Rahmen der WIN-Wochen – der Wochen der internationalen Nachbarschaft – mehrere Kooperationspartner, die sich für Integration stark machen: das Deutsche Rote Kreuz Kreisverband Ravensburg mit der Ehrenamtskoordinatorin für Flüchtlingshilfe, Selina Ritter; die Diakonie mit ihrem Montagstreff und der Koordinatorin für Flüchtlingsaufgaben, Thaddiana Stübing; der Verein TAVIR, eine Bildungsorganisation für Integration sowie die Stadt Ravensburg und der Verein Zehntscheuer. Den Anstoß gab das DRK-Projekt MiNaFa – Mit Nadel und Faden. Hier treffen sich Ehrenamtliche unter anderem zum interkulturellen Austausch, der Unterstützung im Alltag und Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse. Das Projekt MiNaFa wird gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“